Wer ist ein Pöseldorfer?
Wo fängt eigentlich Pöseldorf an und wo hört es auf? Tatsächlich lässt sich diese Frage so einfach nicht beantworten. Ich habe recherchiert. Dabei tauchte ein Poststempel “Pöseldorf” aus dem Jahr 1885 auf. Damit ist Pöseldorf zunächst einmal “amtlich”. Aber die Frage nach den genauen Grenzen bleibt.
Definitionsversuche für das ganz im Nordosten von Rotherbaum gelegene Quartier: Geografisch scheint Pöseldorf begrenzt zu sein durch die Alsterchaussee im Norden, den Harvestehuder Weg im Osten zur Außenalster hin, die Alte Rabenstraße im Süden und im Westen durch den Mittelweg. Soweit so gut. Gefühlt aber liegt Pöseldorf dort, wo die Straßen “Weg” heißen. Böhmersweg, Brodersweg und natürlich Pöseldorfer Weg. Der aber ragt über die Alsterchausse hinaus ins benachbarte Harvestehude hinein.
Vielleicht hilft ja der zeitliche Bezug: Damals, so sagt man, als die Hamburger feiertags in dieser Gegend spazieren gingen, sahen sie die Bewohner in ihren Gärten und Höfen “pöseln”. Das ist nun allgemein bekannt und hat seinen Bewohnern den Spitznamen “Pöseldorfer” eingebracht. Für einen eigenen Poststempel aber wäre das sicher nicht ausreichend gewesen. Es muss mehr dahinterstecken.
Der ehemalige Hamburger Kultursenator Ascan Klee-Gobert (1894-1967) berichtet 1946 in einem Artikel der DIE ZEIT, dass ab Ende des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges Patrizierkreise mit besonderem gesellschaftlichem Anspruch und Zugehörigkeitsgefühl in Pöseldorf zu Hause waren, “denen Harvestehude wohl bereits zu erweitert, um nicht zu sagen vulgär erschien”. Von Beruf war man “Im und Ex”, Assekuranzmakler, oder Reeder, jedenfalls “wurde man Kaufmann oder Jurist”. Auch wenn man einmal in ein neues moderneres Palais rund um die Alster umzog, wohnte man “nur an der Bellevue oder auf der Uhlenhorst” und wechselte keinesfalls die Kirche (St. Johannis), die Eisenbahn oder gar den Tennisclub. Nach dieser Phase fiel das Quartier jedoch für Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf.
Im Jahr 1959 entdeckte der anglophile Antiquitätenhändler Eduard Brinkama das Quartier für sich. Im Zweiten Weltkrieg zwar nicht zerstört, war es allerdings recht heruntergekommen. Er kaufte an der Milchstraße/Ecke Pöseldorfer Weg den leerstehenden Stall des gegenüberliegenden Budge-Palais (heute Hochschule für Musik und Theater Hamburg), sanierte das Gebäude und eröffnete unten einen Antiquitätenladen. Oben zog er selbst ein. Sein Geschäft mit feinem englischem Mobiliar florierte. Er kaufte weitere der hier oft kleinen und verschachtelten Grundstücke, sanierte sie und vermietete sie an Künstler, Galeristen, Medienschaffende und an Studenten.
In dieser Phase, Ende der 1960er-Jahre, eröffnete auch eine Modejournalistin mit dem Namen Jil Sander ihre erste Boutique an der Milchstraße/Ecke Magdalenenstraße. Herr Brinkama selbst empfahl damals viele seiner Häuser dem Denkmalschutz. Auch das hat dazu beigetragen, dass Pöseldorf etwas Besonderes ist, wo es auch immer anfängt und aufhört.
Winterliche Grüße aus der Grindelallee, Ihr Wolfgang Philipp